Israel: Generationenwechsel in der Meretz-Partei

Interview

Die 42-jährige israelische Politikerin Tamar Zandberg wurde im März 2018 in einer erstmals stattfindenden Urwahl mit überwältigender Mehrheit zur neuen Vorsitzenden der links-progressiven Meretz-Partei gewählt. Im Gespräch mit Kerstin Müller erläutert sie ihre Positionen zu den drängendsten Fragen der israelischen Politik und wie sie mit frischen Ideen Wähler/innen zurückgewinnen will. Das Interview führte Kerstin Müller, Leiterin des Stiftungs-Büros in Tel Aviv.

 

Tamar Zandberg, 2011

Tamar Zandberg wurde im März 2018 mit überwältigender Mehrheit zur neuen Vorsitzenden der links-progressiven Meretz-Partei gewählt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Partei konnten alle Mitglieder den Vorsitz direkt wählen. Die junge neue Vorsitzende, die gerade mal 42 Jahre alt ist, gewann in einem spannenden Wettlauf gegen die ehemalige Vorsitzende Zehava Galon und andere Mitkonkurrent/innen haushoch mit 71 Prozent. Sie leitet damit den Generationenwechsel an der Spitze der Partei ein.

Zu Beginn: Herzlichen Glückwunsch! Im März haben Sie die Wahlen zum Parteivorsitz von Meretz mit 71 Prozent der Stimmen gewonnen, das ist sehr beeindruckend. Das ist auch ein persönlicher Erfolg, wenn auch in einer schwierigen politischen Situation. Netanjahu führt in den Umfragen, ungeachtet der Serie von Korruptionsaffären um ihn. Die große Mehrheit der jungen Menschen in Israel definiert sich laut verschiedenen Studien und Meinungsumfragen selbst als Teil des rechten Spektrums. Und selbst der Begriff „Linker“ wird beinahe unmittelbar mit dem hedonistischen, veganen Tel Aviver assoziiert. Manchmal wird man als Verräter gesehen, wenn man sich selbst als links definiert.

Wie möchten Sie Meretz aus dieser „linken“ Ecke holen? Wie möchten Sie mehr auf die Mitte der israelischen Gesellschaft zugehen? Was ist Ihre Strategie um die Wählerbasis von Meretz zu vergrößern?

Tamar Zandberg:

Zunächst: ich akzeptiere die Definition, dass das Word „Linker“ als all das gesehen oder wahrgenommen wird, was Sie erwähnt haben. Doch wir müssen uns daran erinnern, dass diese Wahrnehmung nicht zufällig entstanden ist: Das rechte politische Spektrum hat eine sehr gezielte, gut finanzierte und organisierte Kampagne geführt um es so aussehen zu lassen, obwohl die Realität zeigt, dass eine Mehrheit der Israelis nicht so denkt. In jeder Studie die ich zu jedem möglichen Thema, das wir überprüfen, sehe, zeigt sich, dass eine Mehrheit der Israelis eher in Richtung der Positionen von Meretz und des Mitte-Links Spektrums tendiert, als zu denen des rechten Spektrums. Das sieht man in der Unterstützung für die Rechte von Homosexuellen, für Adoption für homosexuelle Paare, für einen Öffentlichen Nahverkehr an Schabat. Selbst beim Thema Frieden, beim israelisch-palästinensischen Konflikt: Die Mehrheit der Israelis unterstützt bis heute die Zweistaatenlösung. Und das ist natürlich eine große Herausforderung und ein enormer Auftrag für mich. Und Sie haben Recht, meine Aufgabe ist es, die Unterstützung für Meretz zu vergrößern und die politische Macht auszubauen. In meiner Wahrnehmung wird das gelingen, indem wir die Lücke verkleinern zwischen jenen, die unsere Positionen unterstützen und jenen, die uns tatsächlich wählen. Das ist keine einfache Aufgabe, aber sie ist nicht unmöglich. Ich bin mir sicher, wenn wir eine selbstbewusstere, stolzere und optimistischere Position einnehmen, sind wir dazu in der Lage mehr Unterstützung und mehr Stimmen zu bekommen.

 

Meretz-Partei

Die Meretz-Partei, die derzeit über nur 5 der 120 Sitze in der Knesset verfügt, ist die kleinste Oppositionspartei im Parlament. Sie versteht sich als „jüdisch und demokratisch“ und setzt sich für Menschenrechte und eine pluralistische Demokratie in Israel, für die Stärkung der Rechte von Frauen und Minderheiten, sowie die Rechte Homosexueller ein. Sie steht für Nachhaltigkeit und Umweltschutz, und die Trennung von Staat und Religion. Sie tritt als eine der wenigen Parteien noch offensiv gegen die Besatzung des Westjordanlandes auf und setzt sich für die Zweistaatenlösung ein.

Also war die Linke einfach nicht optimistisch genug? Wie kommt es, dass das rechte Spektrum die Herzen und Köpfe der Menschen eingenommen hat – mehr als der linke?

Sie haben nicht die Herzen und Köpfe eingenommen. Sie haben die Politik eingenommen, weil sie erfolgreich darin waren, eine gezielte, gut finanzierte und gut organisierte Kampagne zu führen und sie haben, und das stimmt, uns an die Wand gedrückt. Das Problem liegt darin, dass manche in unserem Lager dieses Selbstbild übernommen haben, dass wir klein, schwach und vielleicht nicht patriotisch genug seien. Und ich denke es ist unsere Verantwortung gegenzusteuern, alles zu tun, um Macht zu gewinnen.

Was sind die Themen? Wie möchten Sie mehr Stimmen für Meretz gewinnen? Ist es nicht immer das Thema Sicherheit das dazu führt, dass das rechte Spektrum gewinnt und wo die Mehrheit dem linken Spektrum nicht vertraut, verlässliche Sicherheitskonzepte zu haben?

Zunächst einmal bin ich keine politische Strategin oder politische Analystin, ich bin eine politische Anführerin. Meine Aufgabe ist es, unseren Ansichten, die die richtigen, die gerechteren und die korrekteren sind, zu größerer Unterstützung zu verhelfen. Die Vielfalt der Themen, die die Linke vereinigen, geht von Frieden und Sicherheit und dem Finden einer Lösung für den Konflikt über soziale und wirtschaftliche Themen bis hin zu Menschen- und Bürgerrechten, die in Israel ein bedeutendes Thema sind. Natürlich auch die Frage nach jüdischem Pluralismus und Religionsfreiheit, welche auch ein wichtiges Thema ist wegen des Monopols der orthodoxen Kräfte hier. Und diese ganze Vielfalt verbindet die Linke und Meretz ist immer die Partei, in der sich die ganzen Themen manifestieren. Wir lassen nichts aus.

Sie haben gesagt, Sie seien keine politische Strategin, sondern eine politische Anführerin. Aber macht nicht das Netanjahu so stark, dass er ein sehr guter politischer Stratege ist?

Ehrlich gesagt, ich glaube wirklich, dass jetzt die Zeit für politischen Kampf ist. Wirklich, ich denke unsere Aufgabe als politische Anführer/innen ist es nicht Strategien zu entwerfen, sondern zu führen. Das zu tun, woran wir glauben und was in die richtige Richtung für Israel geht.

Aber wie lauten Ihre Antworten auf die gegenwärtigen Probleme, zum Beispiel den Konflikt mit Gaza? Was sind Ihre Vorschläge um die Krise zu lösen?

Wenn wir uns Netanjahu und das rechte Spektrum anschauen, wie er Israel in den letzten zehn Jahren seit dem Abzug aus Gaza geführt hat, dann ist da überhaupt keine Lösung. Im Gegenteil, es gab fünfmal gewalttätige Auseinandersetzungen, die letzte vor vier Jahren mit der Operation „Protective Edge“. Und vor zwei Nächten saßen die Bürger/innen im südlichen Teil Israels rund um den Gazastreifen wieder in Bunkern.

Warum glauben Sie denn dann, ist die Mehrheit überzeugt, die Regierung habe Recht in Bezug auf den Gaza Konflikt?

Ich stimme nicht zu. Wenn man die Menschen fragt, die Vorsitzenden der lokalen Verwaltungen rund um den Gazastreifen, die Armee, alle werden Ihnen sagen, dass sie humanitäre Hilfe für Gaza, das Aufheben der Blockade und die Erlaubnis, Arbeiter/innen aus Gaza nach Israel zu lassen, unterstützen.

In den Kibbutzim?

In den Kibbutzim und Moshavim.

Nicht in Sderot.

Okay, verschiedene Menschen haben verschiedene Ansichten, das ist in Ordnung. Aber wenn Sie die Mehrheit der Menschen fragen, die rund um den Gazastreifen leben, werden Sie Ihnen das sagen.

Um also die Krise mit Gaza zu lösen, sind Sie dafür, die Blockade zu beenden? Ohne irgendwelche Bedingungen?

Nein. Natürlich müssen wir mit allen regionalen Mächten sprechen, etwa mit Ägypten und Jordanien und der ganzen Welt, um uns zu helfen einen Weg zu gestalten um die Blockade zu beenden. Zu aller erst mit einer „hudna“, einer langfristigen Waffenruhe, was von Hamas angeboten wurde. Wir haben eine große Chance und können die Zeit während der Waffenruhe nutzen, um die Welt zu humanitärer Hilfe für Gaza zu bewegen und langsam einen Pfad zu schaffen, um die Blockade zu beenden. Währenddessen könnten zum Beispiel Arbeiter/innen aus Gaza nach Israel kommen und in den Kibbutzim und Moshavim arbeiten. Und die fragen danach. Die Armee unterstützt die Idee, mehr Waren nach Gaza zu lassen und dabei zu helfen, einen Hafen zu bauen.

Also befürworten Sie Gespräche mit der Hamas? Denn um all das zu tun, bräuchte es eine Vereinbarung mit der Hamas, richtig?

Wissen Sie, Israel spricht sowieso mit der Hamas, direkt und indirekt seit Jahren.

Aber nicht offiziell, soweit ich weiß. Da Hamas als Terrororganisation eingestuft wird. Und deshalb führt nicht nur Israel, sondern auch die USA und Europa keine Gespräche mit der Hamas.

Okay, dann sprechen wir eben inoffiziell, wir werden via Ägypten sprechen, via  USA, via Europa. Alle Optionen sind da, aber aus irgendeinem Grund finden wir uns selbst immer wieder in einer weiteren gewalttätigen Auseinandersetzung anstatt die ganzen Ideen, die uns vorliegen, zu nutzen.

Also vertrauen Sie Hamas, Vereinbarungen einzuhalten? Wenn wir annehmen, dass eine Vereinbarung möglich ist.

Nein, ich habe kein Vertrauen in Hamas. Hamas ist eine Terrororganisation, die die Zivilbevölkerung Israels attackiert. Das ist inakzeptabel und ich habe keinerlei Vertrauen in irgendeinen von ihnen. Der einzige Weg Frieden sicherzustellen, Stabilität und Ruhe ohne Gewalt sicherzustellen, liegt in der Erkenntnis, dass das Schicksal der Menschen auf beiden Seiten der Grenze voneinander abhängig ist. Ich habe die Gemeinden rund um den Gazastreifen in den letzten zwei Monaten viermal besucht. Ich habe mich mit Vorsitzenden der lokalen Verwaltungen und Bürger/innen getroffen, wir haben in den Essenssälen der Kibbutzim gegessen und Sderot besucht, wir haben uns mit allen getroffen. Gadi Yarkoni, der Vorsitzende der lokalen Verwaltung in der Eshkol Region neben Gaza hat zu mir gesagt: Wir sind die ersten, die unbedingt verstehen, dass wir nicht sicher sein werden, solange unser Nachbar hungrig ist. So einfach ist es. Also können wir uns selbst fragen, ob wir weiterhin das Spiel gegenseitiger Beschuldigungen spielen möchten oder ob wir etwas Besseres tun können, mit der Welt, mit der Region, mit unseren Nachbarländern, mit den Palästinenser/innen, mit Abbas, mit Fatah, mit der Führung des Westjordanlandes, um die Situation zu lösen oder zumindest zu verbessern.

Wie wollen Sie für diese Ideen ganz praktisch nach vorne bringen, Mehrheiten dafür gewinnen?

Erstens, indem wir sie präsentieren, und Meretz ist die einzige Partei, die sie in der politischen Debatte in Israel präsentiert. Zweitens, wie ich sagte, wir bekommen von vielen Menschen die um den Gazastreifen leben viel Unterstützung für diese Ideen, sowohl von Vorsitzenden regionaler Verwaltungen als auch von Militäroffiziellen. Und vor wenigen Wochen, nach der letzten Nacht der gegenseitigen Attacken und Raketen und dem Terror und all dem, kam das Kabinett zusammen und beschloss eine Waffenruhe. In totalem Gegensatz also zu dem, was die Minister vom Likud und dem rechten Spektrum im Radio sagen, machen sie in solchen Situationen genau das, was Meretz vorschlägt. Daher fühle ich mich sehr selbstbewusst darin, diese Ideen auszusprechen, weil ich weiß, dass ich damit auf festem Boden stehe.

Die Regierung spielt Ihrer Ansicht nach also ein doppeltes Spiel: Die Politik von Meretz immer dort verfolgen, wo sie gebraucht wird, aber gleichzeitig polarisieren, um an der Macht zu bleiben. Wie durchbrechen Sie das?

Das ist unsere Herausforderung. Politik ist sehr einfach. Das ist der Grund, weshalb ich diese Position der einer Strategin oder Analytikerin vorziehe. Du präsentierst Deine Ideen der Öffentlichkeit und Du versuchst dein Bestes zu geben, um Dir ihre Unterstützung zu sichern. Es ist nicht meine Aufgabe zu erklären, es ist meine Aufgabe zu führen.

Aber können Sie ohne Strategie führen? Sie haben zwar Ideen, aber gegenwärtig hat Meretz nur fünf Abgeordnete in der Knesset,  in den Meinungsumfragen vielleicht sieben Sitze. Haben Sie also eine konkrete Strategie, wie Sie die Menschen überzeugen wollen, für Sie zu stimmen?

Natürlich. Wir haben hier eine Partei die sehr, sehr professionell arbeitet und ich beabsichtige zu führen, Strategien zu entwerfen und all das in der professionellsten Weise zu tun. Aber am Ende des Tages sagte Martin Luther King: Ich habe einen Traum. Er sagte nicht: Ich habe eine Strategie. Du führst mit deinen Träumen, mit deinen Ideen. Die Art und Weise, wie du Israel sehen möchtest. Und Deine Strategie hilft dir, die Leute mit demselben Traum dazu zu gewinnen, genauso zu wählen. Aber ich werde mich nicht hinsetzen und fragen „Warum hat Netanjahu dieses und jenes getan?“. Wissen Sie, zu lange war die Linke damit beschäftigt, was Netanjahu macht und welche Strategien wir entwerfen und was wir mit unserem Slogan sagen, anstatt einfach zu sagen, was die Wahrheit ist und wie wir vorhaben, damit erfolgreich zu sein.

Viele Beobachter/innen sagen, Meretz gewinnt seine Wähler/innen hauptsächlich aus der Tel Aviver Blase und ein bisschen um sie herum. In Jerusalem oder in der Peripherie ist es eher schwierig für Meretz. Gibt es Regionen, in die Sie mehr Aufwand stecken möchten, weil sie dort die Chance haben Wähler/innen von der Zionistischen Union oder Yesh Atid zu überzeugen, lieber für Meretz zu wählen?

Es stimmt, dass Tel Aviv uns einen unserer fünf Sitze beschert hat, aber in Jerusalem haben wir keine kleine Wählerschaft. Die Unterstützung für Meretz ist in Jerusalem höher als im nationalen Durchschnitt. Wenn wir wachsen möchten, müssen wir natürlich überall wachsen. Übrigens, wenn Meretz in der Vergangenheit Unterstützung verlor, verloren wir Unterstützung überall, in Tel Aviv, in den Kibbutzim und überall. Und wenn wir stärker wurden, gewannen wir überall an Unterstützung.

Würden Sie sagen, dass Meretz in einer ähnlichen Situation ist wie die Grünen in Deutschland? Dass Sie eine potentiell große Wählerschaft unter jungen, urbanen Teilen der Gesellschaft haben? Würden Sie also sagen, dass Meretz sich für den Moment diesem jungen, urbanen Teil zuwenden muss und sie dort Wähler/innen überzeugen müssen, Meretz anstatt Zionistischer Union oder Yesh Atid zu wählen?

Noch einmal, ich muss sagen, dass ich mich sehr viel mehr auf die  Ideen als auf die Strategie konzentriere, aber es stimmt: Ich denke die Grünen sind wirklich eine Schwesterpartei von uns aufgrund der Ideen, obwohl die politischen Systeme der beiden Länder sehr unterschiedlich sind. Doch ich denke in der gegenwärtigen Politik geht es sehr viel mehr darum, wer du bist und um Identität als um Geographie. Geographie ist ein Teil, aber das Ganze ist eine viel größere Frage. Wer du bist, woran du glaubst, wie du dein Land in der Zukunft siehst. Ich denke, das ist eine entscheidendere Frage in der Politik.

So sieht es auch die Siedlerpartei Jüdisches Heim. : Alles dreht sich um Identität. Und sie sind bis jetzt sehr erfolgreich. Glauben Sie, Sie können diese Strategie der nationalreligösen Partei, dem Jüdischen Heim – einer sehr rechten Partei-auf die Linke, auf Meretz übertragen?

Ja, definitiv, ich bin mir sicher, dass wir das können. Ich denke, wir haben einiges dazuzulernen darüber, wie wir unsere Wahrheit und unsere Inhalte in eine Strategie verpacken. Aber ein besseres Marketing kann kein Ersatz für Wahrheit sein. Im Gegenteil, es geht darum, unsere Wahrheit und unsere Überzeugungen und unsere Ideen effektiver zu machen.

Während Ihrer Kampagne schrieben Sie, Meretz bräuchte „Macht, nicht Reinheit“ („power, not purity“ Haaretz 14/2/18). Wie möchte Meretz mehr Macht gewinnen und in Zukunft Teil einer Regierung werden? Wie würde diese Regierung aussehen und was möchten Sie tun, um dieses Ziel zu erreichen?

Zunächst wäre es wohl eine Mitte-links Regierung. Es wäre eine Regierung unter einer der Parteien aus der Mitte und dem linken Flügel, der Zionistischen Union oder Yesh Atid, es wäre natürlich keine Regierung unter dem Likud oder einer anderen Partei des rechten Spektrums. Es wäre eine Regierung in der Meretz stärker wäre und die ganze Regierung nach links drängen würde. Ich denke, dass war die herausragende Rolle, die Meretz in den Regierungen eingenommen hat, von denen wir in der Vergangenheit Teil waren. Wie ich zuvor sagte, ich glaube nicht, dass sich die ganze israelische Öffentlichkeit nach rechts verschoben hat und wir in Zukunft immer rechte Regierungen haben werden. Ich bin sicher, es ist möglich - bereits früher als wir es uns vorstellen können - einen Regierungswechsel zu erreichen.

Die von Yesh Atid oder der Zionistischen Union geführt würde?

Ja, sie könnte von Yesh Atid oder der Zionistischen Union geführt werden. Schauen Sie sich die Bennett-Partei an: Jüdisches Heim. Sie sind eine der kleinsten der sechs Parteien, die die gegenwärtige Koalition bilden, aber sie sind sehr einflussreich, sie sind der Fahrer am Lenkrad, der die ganze Koalition nach rechts steuert. Weil sie sehr ideologisch und sehr selbstsicher in ihren Positionen sind. Das könnte die Rolle von Meretz in einer Mitte-Links Regierung sein, die Hände am Lenkrad zu haben und das ganze Schiff nach links zu steuern.

Wie verhindern Sie das Gegenteil, dass die Zionistische Union oder Yesh Atid eine Koalition mit dem Likud bilden?

Ich denke, das ist ein Risiko. Sowohl die Zionistische Union als auch Yesh Atid haben das in der Vergangenheit getan. Yesh Atid in der letzten Regierung und die Zionistische Union davor. Ich denke das ist der Grund warum Meretz stärker sein sollte, um das nicht passieren zu lassen. In Zukunft müssen wir dazu in der Lage sein, den tipping-point nach links zu verschieben.

Und die Joint List, der Zusammenschluss linker und arabischer Parteien - führen Sie mit denen auch Gespräche? Würden die eine Mitte-Links Regierung tolerieren oder wären sie sogar Teil davon? Wie lautet Ihre Idee?

Zunächst einmal bin ich natürlich mit allen Parteien aus der Knesset im Kontakt, einschließlich der Joint List, die mit uns in der Opposition sitzt und von deren Agenda viele Punkte zu unserer passen. Ich denke es ist eine anormale politische Situation, dass die nationale Minderheit aus dem politischen Spiel und dem politischen Diskurs herausgehalten wird. Sie sind a priori kein Teil irgendeiner Regierung, das ist keine normale politische Situation. Ich hoffe, das wird sich in Zukunft ändern. Natürlich hängt dies von vielen Faktoren ab. Zunächst einmal Macht und das, was wir „Blöcke“ nennen: Wird der Mitte-Linke Block in der Zukunft groß genug sein, um eine weitere rechte Regierung zu verhindern? Es hat auch mit interner Politik innerhalb der Joint List zu tun, sie sind noch nicht bereit, Teil einer Regierung zu sein. Ich hoffe, wir werden arabische Politik in der Zukunft stärker in den normalen Politikbetrieb integriert sehen.

Definiert sich Meretz unter Ihrer Führung als eine zionistische Partei?

Ja. Das Selbstverständnis von Meretz hat sich seit Gründung nicht verändert und beinhaltet, dass Meretz Israel als das Heimatland des jüdischen Volkes sieht. Das ist die grundlegende Definition der zionistischen Bewegung. Und gleichzeitig sollte es eine gleichberechtigte Demokratie für all seine Bürger/innen sein, natürlich einschließlich der arabischen Minderheit.

Also definiert sich Meretz als jüdisch und demokratisch?

Genau, Israel ist das Heimatland für das jüdische Volk, wegen unserer Geschichte, wegen der Idee, die die zionistische Bewegung im Sinn hatte, als sie dieses Land gründeten. Aber zur gleichen Zeit sollte es echte Gleichberechtigung ermöglichen, die alles einschließt, einschließlich der Bereitstellung von Ressourcen, einschließlich Sprache, einschließlich Kultur für all unsere Bürger/innen. Und ich denke, das ist noch immer die Agenda von Meretz, das ist die Einzigartigkeit von Meretz vom Tag der Gründung 1992 bis heute und das wird sich auch nicht ändern.

Nimmt Meretz eine pro-europäische Position ein?

Meretz ist Teil der liberalen demokratischen Kräfte in der Welt, von denen wir unter unseren Partnern und Freunden in Europa viele finden. Wenn Sie sich die Welt heute anschauen, finden Sie zwei widerstreitende Kräfte: Auf der einen Seite liberale Demokratien, wie wir sie kennen und zu denen sich Meretz zählt, die gleiche Rechte, eine offene Gesellschaft, Demokratie unterstützen - natürlich ohne militärische Besatzung und unter Garantie von Bürgerrechten für all ihre Bürger/innen. Auf der anderen Seite nehmen die Kräfte nicht-liberaler Demokratien zu, das kann man sowohl in Europa als auch den USA nicht ignorieren. Meretz sieht sich selbst eindeutig in der ersten Gruppe und nicht in der zweiten. Das passt zu unseren Freunden in Europa, sowohl in Regierungen als auch in Parteien und politischen Lagern, die ausgerichtet sind wie wir.

Ist eine moderne Migrationspolitik und das Recht auf Asyl für Meretz Teil dieser Werte?

Bezüglich des Weges wie unterschiedliche Länder Flüchtlinge und Asylsuchende behandeln: Ich denke, dass haben Meretz und Deutschland gemeinsam, obwohl die deutsche Kanzlerin nicht aus unserem politischen Lager ist, teilen wir die Politik, die sie zu Beginn bezüglich der syrischen Flüchtlinge verfolgte. Das ist Teil der grundlegenden Werte liberaler Demokratien, die wir teilen im Gegensatz zu einer Politik, die Flüchtlingen das Recht auf Asyl absprechen möchte. Auch die israelische Regierung wollte afrikanische Flüchtlinge abschieben und sieht sie als „Eindringlinge“.- Meretz ist eine der starken Kräfte dagegen. Ich denke das ist auch etwas, was wir mit den Grünen in Deutschland teilen.